Vom 29. Oktober bis 6. November fand die fünfzehnte Auflage der Offenen Bayerischen Meisterschaft in Bad Wiessee statt, die über 450 begeisterte Teilnehmende an den Tegernsee lockte. Wie schon im letzten Jahr wollte auch das Wetter mitspielen und belohnte alle mit neun herrlichen warmen Herbsttagen.
Am Start waren vier Vertreter der Zunft von Zugzwang: Gerald, Ulrich, Bernhard und Günter. Die Turnierveranstalter versuchten dieses Jahr ihr Glück mit einem neuen System, bei dem sie die Spielpaarungen bevorzugt nach DWZ-Zahl auslosten. Die Idee dahinter ist natürlich nicht schlecht, da viel mehr Turniere mit der nationalen Wertungszahl ausgewertet werden und dadurch statistisch betrachtet der „wahren“ Spielstärke mehr entsprechen. Es kam früher ja öfters vor, dass ein Spieler mit FIDE-ELO 2.000 (aus vielleicht ein bis zwei guten Turnieren erzielt) eine DWZ-Zahl von lediglich 1.700 besitzen konnte. Aber: Wenn ein Turnier eine stark ungleiche Wertungszahlverteilung aufweist, darf man nicht ständig manuell eingreifen und das Feld vor der Auslosung immer in zwei Hälften aufteilen (in den ersten beiden Runden kann man das vertreten). Dadurch bekommen Spielende mit höherer Zahl, die aber im Turnier unterrepräsentiert sind, in den meisten Fällen deutlich schwächere Gegner zugelost (zweihundert Punkte Differenz sind hier üblich), aber was viel gravierender ist: sie haben fast nie die Chance gegen ungefähr gleichstarke Gegnerschaft zu spielen. Zum Beispiel waren in Bad Wiessee dieses Jahr 28 Teilnehmende mit über 2.500, nur 10 über 2.400, 16 über 2.300 und 24 über 2.200. Das bedeutet, dass ein Spieler mit 2.200 DWZ fast nie gegen andere mit 2.200 oder 2.300 gelost werden wird. Meist wird er eben gegen 200 Punkte schlechtere Spieler ausgelost. Hier hat er eine Gewinnwahrscheinlichkeit von ca. 75 Prozent, d. h. in drei von vier Partien gewinnt er, aber einmal verliert er im Schnitt. Solche Teilnehmer haben das Pech, gegen diese immer gewinnen zu müssen, aber danach werden sie einem überproportional besseren Spieler zugelost. Oft dreihundert Punkte besser, meist ein Großmeister, aber was viel wichtiger ist: je höher die Spielstärke, desto kleiner werden die DWZ-Differenzen, d. h., im unteren DWZ-Bereich kann eine Spielklasse mit zweihundert Punkten beziffert werden, ab 2.000 aber in hunderter Schritten, ab 2.600 sogar in fünfziger. Und haben deshalb weniger Chancen und fallen bei einer Niederlage wieder auf das alte 200-Punkte-Schema zurück. Zusammenfassend ist diese lineare Spielstärkebetrachtung für die Auslosung einfach falsch.
Genug des Unmuts! Zurück zum Turnierverlauf. Bei allen verlief der Start erwartungsgemäß, lediglich Günter musste gegen einen starken jungen Großmeister antreten und verlor.
Die zweite Runde brachte für alle die erhofften Ergebnisse, lediglich Bernhard durfte sich mit der Nummer Eins des Turniers beschäftigen … Sergei Zhigalko, mit 2696 ELO-Punkten eine nahezu unmenschliche Aufgabe. Aber Bernhard kämpfte wie immer sehr hartnäckig und konnte die Stellung lange zusammenhalten. Dies zermürbte den Turnierfavoriten sichtlich und es entstand folgende Stellung nach dem 29. Zug des Schwarzen:
Mit dem schönen Rückzug 30. Sd2! hätte Bernhard im Falle von 30. … Dd3 entweder die Damen mit 31. Db1 tauschen können oder auf 30. … Dd5 mittels 31. Dc2+ g6 31. a4! den schwarzen Damenflügel festlegen können. Damit wäre ein Remis sehr wahrscheinlich geworden. Leider hatte Bernhard kaum noch Zeit auf seiner Uhr und er spielte das schwächere 30. Sc1, wonach sein Widerpart mit 30. … c4 die Damenflügelmehrheit in Bewegung setzen und am Ende Bernhard niederringen konnte.
Runde 3 wird eher durchwachsen für die Kämpen von Zugzwang. Während Günter gegen einen FM mit 2.300 verliert, kommt Bernhard gegen einen schlechter eingestuften Gegner nicht über ein Remis hinaus. Gerald gewinnt erwartungsgemäß und ich komme zu einem sicheren Remis gegen Großmeister Eingorn, was mich hoffnungsfroh in die nächste Runde blicken lässt.
Runde 4 lässt unseren Optimismus auf ein gelungenes Turnier zum ersten Mal etwas eintrüben. Einzig Günter kann den vollen Punkt einfahren, während Bernhard und ich gegen deutlich schlechtere Gegnerschaft versagen und nur einen halben Zähler mit nach Hause nehmen. Und das bei mir noch glücklich, denn schon in der Eröffnung bin ich völlig unkonzentriert und verliere einen Bauern mit klarem Nachteil. Nur die DWZ-Schnäppchenmentalität meines Gegners verhindert Schlimmeres. Auch Gerald bekommt den kalten Atem der Nummer 1 in seinem Nacken zu spüren und muss sich sogar mit den weißen Steinen geschlagen geben.
Runde 5 stellt dann einen ersten Tiefpunkt dar. Außer Gerald verlieren alle Zugzwängler, und das, obwohl die Opposition leichter eingeschätzt werden musste. In meiner Partie war ich die ganze Zeit am Drücker, mein Gegner klammerte was das Zeug hielt. In einem letzten Gewaltakt doch noch den Gewinn zu erzwingen, verwechselte ich den ersten und zweiten Zug einer Abwicklung – ohne Zeitnot(!) aber à tempo gespielt – und dabei blieb ein Läufer zu wenig übrig … Als Gegenpol solch’ harter Unbill dient vielen Schachspielern eine gute Menge flüssigen Goldes. Nicht jedoch bei den Kämpen aus der Schmellerstraße. Wie schon die Tage zuvor bestreiten die einen ein hartes Bergtraining oder die anderen skandinavische Abhärtung. Ersteigen diverse Almen oder schwitzen den ganzen Dreck schlechter Gedanken bei 100 Grad in der Sauna aus ihrem Körper.
Auf dem Weg zum Riederstein mit Blick auf Rottach-Egern
Derselbe Aufstieg mit Blick in die Alpen
Dort hinauf ging es! Der Riederstein mit seiner hübschen Kapelle belohnt mit einem herrlichen Blick auf den Tegernsee und die umliegenden Alpen.
Runde 6 wiederholt so ungefähr die Schmach des Vortages. Ich spiele gegen einen schwächeren Gegner und lasse sämtliche Vorsicht außer Acht. Die Folge: Eine Glanzpartie meines Gegners, der mich im Opferstil zur Strecke bringt. Gerald hat das Vergnügen gegen die Nachwuchshoffnung von Rosenheim/Pang anzutreten. Dieser jedoch ohne Heimatgefühl ganz im rotgoldenen Dress des FC Bayern gekleidet. Noch schlimmer der Ablauf. Schon mit gut dreißig Zügen zeigt die Uhr des Gegners noch 1:26 an! Kein gutes Omen. Gerald wehrt sich verbissen, kann aber gegen ein Houdini gleichendes Spiel nichts ausrichten. Günter gewinnt wieder sicher, aber Bernhard kommt aus seiner Talfahrt nicht heraus und muss schon wieder mit einem Unentschieden vorlieb nehmen.
Deshalb geht es zur Abwechslung vor der siebenten Runde auf die Neureuth-Alm.
Blick auf das Tegernseer Kloster
Blick ins Tal – so schee
Runde 7 scheint eine kleine Wende einzuleiten. Leider fällt den Turnierleitern nichts Besseres ein, als bei 450 Teilnehmenden Günter und mich gegeneinander auszulosen. Bernhard und Gerald gewinnen beide ihre Partien und Hoffnung keimt. Auch ich versuche wieder Sicherheit zurückzugewinnen und freue mich schon mit einer Katalanisch anmutenden Stellung. Zu früh, zu früh! Ich übersehe prompt ein Verteidigungsmanöver Günters und muss das Spiel vereinfachen. Danach scheint sich jedoch alles zu meinen Gunsten zu entwickeln. Auch Günter glaubt das. Sein vorwitzig nach vorne gepreschter Läufer wird angegriffen und ich fühle mich sehr wohl:
Beide sind wir der Meinung, dass der Läufer nun weichen muss oder auf a2 ein grausames Ende findet. Allein nach 25. … L×a2 26. b3 Da7 27. Tc2 Sc4! 28. Da4 S×d2 29. T×d2 L×b3! steht Weiß am Abgrund. Schluck. Günter glaubt mir die Läuferfangdrohung, gerät außer Tritt und gibt zu früh auf.
Runde 8 wirft seinen ersten unheilvollen Schatten. Während Günter sich wieder aufrappelt und einen glatten Sieg erringt, gelingt mir endlich ein überzeugender und klarer Gewinn. Natürlich waren die drei Stunden Vorbereitung für die Katz, denn mein Gegner wich schon im vierten Zug ab. Das bin ich schon gewöhnt ;-) Das Unglück von Zugzwang müssen zwei andere erleiden. Bernhard und Gerald. Bernhard hat eine völlige Gewinnstellung und findet studienartig ein Selbstmatt in zwei! Nicht viel besser ergeht es Gerald, der in einem nahezu gleich anmutenden Endspiel noch einen vollen Punkt ergattern möchte.
Nach 39. … b4 sollte nichts passieren, aber dies bedeutet auch die Punkteteilung. Also warum nicht 39. … Sg2 und den Bauern kassieren?
Leider folgt nun die Materialisierung des Vereinsnamens mittels 40. Kb2. Nun darf Schwarz nicht den Bauern fressen wegen 40. … S×h4 41. Se1 Sg6 42. Sd3 b4 43. c4 b3 44. a×b3 matt! Also 40. … b4. Doch nun 41. c4 Sf4 42. Se1! und Schwarz ist in Zugzwangs! Es folgt 42. … b3 43. a3!
Schwarz ist wieder in Zugzwang und verliert nach 43. … f5! 44. e×f5 e4 45. f×e4 Sd3+! 46. Kb1! Se5 (46. … S×e1 47. f6) 47. f6 K×a3 48. Sd3 S×d3 49. f7 Kb4 50. f8D+ K×c4 51. Df7+ Kb4 52. Da7 Sc5 53. Db6+ Kc4 54. e5 a4 55. e6 a3 56. e7 a2+ 57. Ka1 Sa4 58. Dc6+ Kb4 59. e8D b2+ 60. K×a2 b1D+ 61. Kxb1.
Günter und ich versuchen in Runde 9 noch etwas Schaden abzuwenden. Doch auch für Günter endet die letzte Runde mit einer Niederlage, sodass er seine starke Aufwärtstendenz der letzten Turniere nicht ganz bestätigen kann. Trotzdem bleibt er etwa bei seiner Erwartung. Ich selbst kann den dritten Sieg in Folge einheimsen und mit 6 Punkten werde ich nicht so viel verlieren.
Hier die Endplatzierungen:
Name Punkte/Spiele Platz Startrang
Uli 6/9 68 75
Gerald 5/8 121 23
Günter 4/9 248 246
Bernhard 3½/8 333 113
Nichtsdestotrotz ist Bad Wiessee ein attraktives Turnier und beim nächsten Mal kann das Schlachtenglück wieder auf unserer Seite stehen!