„Zwischen uns liegen Welten...“ ein Nachruf von GM Hertneck
Letzte Woche verstarb die Münchener Schachlegende Winfried Taeger im Alter von 67 Jahren. Sein Gesundheitszustand hatte die letzten Jahre schon arg gelitten, und so kam die Nachricht für seine Fans und Freunde nicht wirklich überraschend. Zumindest in den letzten 15 Jahren seines Lebens war sein liebster Aufenthaltsort der Schachplatz an der Münchener Reichenbachbrücke, wo er wahlweise selbst spielte, zuschaute, sich mit seinen Kumpels unterhielt, Karten spielte, oder dem Bacchus frönte - letzteres mit großer Regelmäßigkeit. Bobby – wie er allseits genannt wurde – trug als Markenzeichen sein frühzeitig ergrautes Haar schon mit 30 Jahren. Kennengelernt habe ich ihn in den 80er Jahren bei der Schachabteilung des FC Bayern München, wo er als starker Blitzer und menschliches Original galt. Überhaupt war das so eine legendäre Zeit im Münchener Schach, als das Viergestirn Tauber, Taeger, Klundt und Hühnerkopf die Münchener Schachszene dominierte, und Nachwuchsspieler wie ich respektvoll zu diesen Meistern aufschauten. Auch ein junger Mann namens Stefan Kindermann, der später einmal Großmeister werden sollte, ging zu dieser Zeit bei Bobby in die Schule, und dieser übte sicherlich nicht den geringsten Einfluss auf den jungen Mann aus. Stefan hat sich oft über diese sogenannte Münchener Schule geäußert, die allerdings nicht die solideste Schachauffassung vertrat, sondern ein gewisses Zockerelement predigte, und sich an Blitzpartien berauschte.
In den letzten 20 Jahren war Bobbys Stern schon am Sinken, aber noch Mitte der 80er Jahre gehörte er zu den besten 100 Spielern Deutschlands, und seine höchste Elozahl lag bei 2365 (zu einer Zeit als der Eloschnitt noch weit niedriger lag als heute). Ein Leben lang galt seine Liebe dem Schach, was auch daraus ableitbar ist, dass er bereits im Jahr 1963 in der großen Datenbank von Chesssbase mit Turnierpartien verewigt ist. Mit anderen Worten seine Schachkarriere umspannte rund fünf Jahrzehnte. Aus Kostengründen nahm er allerdings in späteren Jahren nur an Turnieren in München und im Umland teil, also z.B. in Bad Wörishofen, Bad Wiessee und mehrfach in Bad Aibling. Bobby war auch sozial engagiert, denn in den letzten 10 Jahren seines Lebens gab er sein schachliches Können im Auftrag der Münchener Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation an drei Münchener Grundschulen weiter, und war damit einer der Vorreiter für die später gegründete Münchener Schachakademie.
Legendär war der oft als Grandseigneur auftretende Bobby für seine mitunter etwas giftigen Bemerkungen, die bisweilen auch unter dem Einfluss von alkoholischen Getränken zustande kamen. So nervte er an einem Kneipenabend eine auffallend hübsche Münchener Schachspielerin mit der wiederholt vorgetragenen Aussage „Zwischen uns liegen Welten, zwischen uns liegen Welten“. Die Gute konnte erst nichts darauf entgegnen, wusste sich aber irgendwann zu wehren, und fragte zurück: „Welche Welten denn?“. Diese Frage hatte Bobby nicht erwartet, und musste erst einmal scharf nachdenken, dann aber kam ihm die Erleuchtung: „Geistige Welten, zwischen uns liegen geistige Welten“... Bis heute bedaure ich, dass ich diesem gehaltvollem Gespräch und den Reaktionen der Beteiligten nicht als Kiebitz beiwohnen durfte!
Am Schachbrett blühte Bobby auf, wenn er Initiative hatte, und den Gegner unter Druck setzen konnte. Er spielte auch oft scharfe Varianten, und dann musste man sehr aufpassen, dass man nicht unter die Räder kam. Die Geduld war hingegen nicht seine große Stärke – das Lavieren lag ihm gar nicht, das entsprach einfach nicht seinem Naturell! An einem guten Tag konnte er jedoch auch Spieler von Großmeisterstärke schlagen, wie der folgende Partieausschnitt zeigt:
Taeger – Enders, Bad Wörishofen 1999
Hier hat Bobby bereits starken Druck am Königsflügel entwickelt, und wenn Enders auf der Hut gewesen wäre, hätte er nun mit 30...Tg5 31.Sgxf6 exf5 32.exf5 Lxf6 33.Sxf6 Tgxf5 rechtzeitig nach Gegenspiel gesucht. Stattdessen folgte schwächer 30...exf5? was prompt mit dem Zwischenzug 31.Sh6 nebst Mattdrohung auf f7 bestraft wurde. Nun wird Schwarz die lästigen Springer nicht mehr los, die den König wie in einer Zwangsjacke halten. 31...Tf8 Auch die Alternative 31...Tg6 32.Sxf5 Lf8 33.g4 bringt keine Erlösung. 32.exf5 Te5 Dies verschlechtert die schwarze Lage nochmals, da nun der weiße f-Bauer bis nach f6 vorstößt, und zum Sargnagel für den schwarzen König wird. 33.Txe5 fxe5 34.Lxc6 bxc6 35.f6 Lc5 36.Te1 e4 37.Kg2 Ld4 38.g4 c5 39.g5 a5 40.h4
Im Ergebnis seiner überlegenen Strategie steht Bobby total auf Gewinn, vor allem weil er droht, den Sh5 über g3 und f5 nebst d6 mit Mattdrohung in den Kampf eingreifen zu lassen. Es folgte noch 40...a4 41.bxa4 e3 42.Sg3 Ta8 43.Sgf5 Sc4 44.Se7 Se5 45.Tb1 Tf8 46.Kf1 Sd7 47.Tb7 Sxf6 48.gxf6 Lxf6 49.Sc6 Lxh4 50.Sf5 1–0
Ich denke, wir werden Bobby immer als eine eindrucksvolle Persönlichkeit in Erinnerung behalten, die über Jahrzehnte das Münchener Schachleben bereichert hat!
Ergänzung sh: Laut Auskunft des TV Tegernsee findet die Beisetzung von Winfried Taeger am 16. Februar um 9.15 Uhr im Krematorium am Ostfriedhof statt.