Es wird mal wieder Zeit, etwas zu schreiben, das man auf unserer Homepage eher selten findet: Einen Erlebnisbericht von einem Open!
Ich fange mal von vorne an.
Etwa zwei Wochen vor Ostern dachte ich, dass es doch mal wieder Zeit wäre, ein Open zu spielen. Angeboten hätte sich vor allem das Grenke Open in Karlsruhe, aber 9 Runden in 5 Tagen sind ein Kraftakt, den ich mir aufgrund der gegebenen beruflichen Umstände nicht unbedingt geben wollte. Da bekam ich von meinem Vereins- und Vorstandskollegen Markus die Mitteilung, dass er eventuell das Oster-Open im italienischen Palmanova mitspielen wolle. Das entsprach schon eher meinen Vorstellungen: 5 Runden in 4 Tagen im warmen Süden! So fasste ich den Entschluss, dort mitzuspielen, und meldete mich für das B-Turnier (ELO 1600-2000) an. Der Plan: Die Gegner in zwei Stunden vom Brett fegen und den Rest des Tages in der mediterranen Frühlingssonne verbringen. Wie der Leser wahrscheinlich schon ahnt, klappte das nicht mal ansatzweise. Die Gegner spielten besser als ich erwartet hatte, und es regnete die meiste Zeit…
Die Anreise am Vortag der ersten Turnierrunde gestaltete sich unschön. Markus nahm mich freundlicherweise in seinem Pkw mit, und anstatt der geplanten 5-6 Stunden waren wir letztlich 9 unterwegs. Stau hin oder her, eine Stunde vor Mitternacht kamen wir schließlich an und konnten unser Hotel beziehen. Zum Glück fing die erste Runde des Turniers erst nachmittags an, sodass wir sogar ausschlafen konnten.
Vor dem Turnierstart erfolgte die obligatorische Stadtbesichtigung. Palmanova ist eine sehr kleine Festungsstadt mit wenigen tausend Einwohnern und besitzt eine interessante Symmetrie: Der Grundriss ist kreisrund, mit einem großen zentralen Platz und mehreren ringförmigen Straßen um das Zentrum, welche durch Querstraßen verbunden sind. Eindrucksvoll ist die ehemalige Stadtmauer, deren sternförmiger Umriss besonders von oben auch heute noch gut zu erkennen ist.
Nun aber zum Turnier: Lokalität, Organisation und Umsetzung waren aus meiner Sicht einwandfrei. Der Spielort war eine Halle in einem alten Gebäude, dessen genauen Zweck ich nicht herausgefunden habe. Von der Teilnehmerzahl her war es eher klein, insgesamt waren es weniger als 100. Eine Sache fiel Markus und mir schnell auf – sowohl Spieler als auch Zuschauer verhielten sich stets gesittet und respektvoll, auch (oder sollte ich sagen besonders?) die zahlreich teilnehmenden Junioren. Leider war das für uns deutsche Schachspieler eine Neuheit. Erwähnen sollte man auch die Bedenkzeit. Diese lag bei 90 Minuten + 30 Sekunden Inkrement für die ganze Partie, das heißt es gab ab Zug 40 nicht die bei uns gewohnten 15 bzw. 30 Minuten extra. Das führte zu langen und spannenden Zeitnotphasen.
Der Maßstab war für uns beide hoch gesetzt: Wir standen weit oben in der Startrangliste, meine Wenigkeit sogar an 1! Dementsprechend sollte die erste Runde einfach zu gewinnen sein. Zumindest, wenn man einzügige Damengeschenke seines Gegners annimmt, was ich nicht tat. Zum Glück war meine Position zu diesem Zeitpunkt so gut, dass ich trotzdem gewinnen konnte.
Markus performte überzeugend. In einem interessanten Turmendspiel demonstrierte er die korrekte Spielweise:
In der zweiten Partie am Vormittag des Folgetages bekam ich wenig von Markus‘ Spiel mit, außer dass er ein inkorrektes gegnerisches Figurenopfer in der Eröffnung wiederlegte und ohne große Gegenwehr gewinnen konnte. Ich war nämlich mit meiner eigenen Partie sehr beschäftigt. Hier konnte ich aus der Eröffnung einen positionellen Vorteil holen und auf Königsangriff spielen. In beidseitiger Zeitnot verpasste ich mehrfach einen schnellen Gewinn und ließ meinen Gegner in ein schwieriges Endspiel entkommen. Auch hier verpasste ich mehrere Gewinnmöglichkeiten, die aber Rechenarbeit erfordert hätten, für die ich keine Zeit mehr hatte (man beachte die oben genannte Bedenkzeit!). Mein Gegner fand dann eine starke Fortsetzung, die ihm das Unentschieden hätte sichern können:
Nach dieser anstrengenden Partie ging es direkt weiter mit Runde 3. Hier legte ich meine Partie gegen den nominell weit unterlegenen Gegner möglichst flach und positionell an, um komplizierte Varianten zu vermeiden und Energie zu sparen. Entsprechend war die Stellung lange ausgeglichen, auch als ich einen kleinen positionellen Vorteil erspielte. Mein Gegner entschied sich, in eine Isolani-Stellung zu gehen, und verlor seinen vereinzelten Bauern durch eine Taktik. Durch eine Reihe von Ungenauigkeiten verschlechterte er seine theoretisch haltbare Stellung graduell und landete letztlich in einem verlorenen Bauernendspiel.
Markus wurde gegen meine direkte, fast wertungsgleiche Konkurrentin gepaart und ich hoffte auf einen Sieg seinerseits. Dies hätte mir nominell gesehen den Rest des Turniers erleichtert. Es kam jedoch anders. Markus experimentierte in der Eröffnung und ging mit einer annehmbaren Stellung aus dieser hervor, stand aber im Mittelspiel etwas unter Druck. Die Engine schert sich aber nicht darum und sagt die ganze Zeit Ausgleich. An einer kritischen Stelle fand Markus jedoch den rettenden Zug nicht und ging in einem taktischen Feuerwerk unter.
Der Zwischenstand war hiermit 3/3 für mich und 2/3 für Markus, wir waren also beide noch im Rennen um das Podium.
In der vierten Runde, welche wieder nachmittags stattfand, wurde ich wenig überraschend gegen die direkte Konkurrenz gepaart. Diese Partie möchte ich genauer ausführen, da sie auch psychologisch interessant ist.
Markus hatte es mit meinem Gegner aus der vorherigen Runde zu tun. Nachdem er aus einer zweifelhaften Eröffnung in ein gutes Mittelspiel gelangt war, konnte er dem Defensivspiel seines Gegners nichts entgegensetzen, und kam in ein ausgeglichenes Endspiel. Anstatt auf eigene Gefahr hin weiterzuspielen, einigte er sich mit seinem Gegner auf ein Unentschieden.
Durch dieses Resultat war ich sicher auf dem Podium, und auch Markus hatte noch Chancen.
Ich brauchte in der letzten Runde noch einen halben Punkt, um den ersten Platz zu sichern. Das gelang mir glücklicherweise trotz Lampenfieber und Müdigkeit (Zeitumstellung!). Mein Gegner opferte bereits nach wenigen Zügen zweifelhaft einen Bauern, aber die Stellung war nicht einfach zu spielen. Nach einigen Fehlentscheidungen meinerseits hatte mein Gegner die Initiative und lehnte sogar ein Remisangebot von mir ab. Kurz darauf fand ich eine Abwicklung, welche die Stellung durch Figurenabtausche vereinfachte, und mein Gegner bot nun seinerseits remis. Da die Stellung immer noch unklar war und ich den ersten Platz sicher hatte, nahm ich das Angebot an.
Markus spielte gegen meinen Gegner aus der ersten Runde, ebenfalls mit Weiß. Dadurch konnte ich ihm bei der Vorbereitung helfen, was die Partie schon vor Beginn zu seinen Gunsten wandte:
Am Ende hatte Markus großes Pech bei der Buchholzverteilung. Direkt hinter mir standen in der Tabelle nämlich 5(!) Spieler mit 3,5 Punkten, von denen Markus leider den Kürzesten gezogen hatte. Das brachte ihm den 6. Platz ein, was meiner Meinung nach nicht seine spielerische Leistung widerspiegelt.
Alles in allem war dieser Osterurlaub eine angenehme schachliche und auch kulinarische Erfahrung, die ich allen Schachfreunden nur empfehlen kann!
Die Ergebnisse des Turniers sind hier zu finden:
https://vesus.org/tournament/DuWr_6DT?pairingsRound=4&selectedTab=tournament.standing