Liebe Schachfreunde,

am letzten Wochenende haben wir wieder mal festgestellt: Erfurt ist immer wieder eine Reise wert, aber vor allem wegen der schönen Altstadt, und nicht unbedingt zum Schach spielen. In der ersten Runde der Bundesliga Ost warteten nämlich mit Plauen und Erfurt zwei sehr starke Ostmannschaften auf uns, die sich an der Spitze kräftig mit Polen und Tschechen verstärkt hatten. Wir hingegen traten ersatzgeschwächt ohne Markus (Lammers) und Daniel (Krklec) an.

Doch der Reihe nach: nach einer erfrischenden Zugfahrt von 4,5 Stunden landeten wir am Samstag Mittag am Hauptbahnhof in der thüringischen Landeshauptstadt, und begaben uns zunächst ins Hotel Carat, wo ich unsere Übernachtung gebucht hatte.

Eine Stunde später startete dann das Match gegen Plauen, das allerdings nach etwa 10 Minuten durch einen Handyvorfall jäh unterbrochen wurde. Es klingelte nämlich an Brett 8 vernehmlich drei Mal, und zwar beim Gegner von Dijana, und natürlich war in diesem Moment kein Schiedsrichter anwesend. Es kam also eine Diskussion auf, in deren Verlauf ich entscheiden sollte, ob wir auf Gewinn reklamieren, Dijana das (nachträgliche) Remisangebot ihres Gegners annimmt, oder die Partie fortgeführt wird. Da ich Zeit meines Lebens noch nie ein großer Freund der Handyregelung war, und ich bis heute der Meinung bin, dass Partien am Brett und nicht vom Schiedsrichter entschieden werden sollen, schlug ich als Kompromiss vor, dass Dijana das Remisangebot annimmt, womit beide Seiten auch zufrieden waren. Diese Entscheidung hatte jedoch nur ungefähr 10 Minuten Bestand, denn als Schiedsrichter Wanzek zurückkehrte, annullierte er das Ergebnis umgehend, und setzte eine Niederlage für den Handy-Übeltäter fest. Für mich ein Eingriff in die Partie, doch zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass es laut Regel anscheinend keine andere Wahl gibt, und dass er vor Beginn der Runde auf die Handy-Thematik explizit hingewiesen hat.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass genau dieser Vorfall matchentscheidend war, da am Schluss wieder alles an einem seidenen Faden hing. Wir zeigten nämlich an diesem Tag große Stärken und große Schwächen. Indiskutabel war meine Leistung, denn ich kam mit einem Franzosen total unter die Räder, wobei ich zugeben muss, dass mein Gegner der polnische GM Gdanksi eine fehlerfreie Partie gespielt haben dürfte. Auch Stefan B wird mit seiner Sizilianisch-Niederlage  gegen GM Mastrovasilis in keinster Weise zufrieden gewesen sein. Im Gegenzug spielten jedoch Erasmus, Falk und Sefan K ganz stark auf, und ließen ihren durchaus namhaften Gegnern kaum eine Chance. Stefan hat seine Partie ja bereits über den Mailverteiler geschickt.

Über den Partieverlauf von Bernie möchte ich an dieser Stelle kein Wort verlieren, nur so viel: nach der Partie vernahm ich ein stetes Winseln und ein Jammern. Elena hielt ihre Partie gegen Schaller erfreulicherweise Remis, und so reichte es zu einem „soliden“ 4,5-Sieg für die Mannschaft.

Uns war aber klar, dass die eigentliche Prüfung erst am Sonntag gegen die starken Erfurter bevorstand. Und hier endeten überraschend die Begegnungen an den ersten vier Brettern Remis, wobei ich den Vogel abschoss. Es ist mir wohl noch nie in meiner Laufbahn passiert, dass ich in einer Variante gleich 5 Bauerneinheiten Vorteil übersah:

In dieser Stellung spielte der Tscheche IM Plat für mich völlig überraschend 22.Sd4, und lud mich dazu ein, mit 22...Sxe5 den Bauern auf e5 zu nehmen. Nach langem Nachdenken nahm ich jedoch davon Abstand, da ich nach 23.Sc3 Lxg2 24.Sxe6 Db6 25.Sxf8 von dem Matt nach 25...Lxf1 26.Dh7+ Kf8 27.Dh8# abgeschreckt wurde. Stefan S verriet mir jedoch in der nachträglichen Besprechung der Partie, dass die Variante aus weißer Sicht ein Loch hatte:

An dieser Stelle konnte Schwarz nämlich mit einem eleganten Zug gewinnen: es folgt nämlich 24...La8!! und auch laut Computeranalyse ist Weiß angesichts der Drohung Sf3+ nebst Sd2+ und Sxb1 nicht mehr zu retten!

Ich möchte an dieser Stelle um Nachsicht bitten, dass ich wieder einmal meine eigene Partie in den Vordergrund stelle, wo es doch auch viele andere spannende und hart umkämpfte Partien gab, nur sind diese noch nicht veröffentlicht (ich bekomme sie in den nächsten Tagen per Mail), und mir liegen außer der bereits zugeleiteten von Stefan auch keine Beiträge vor. Die strategisch feinste Leistung stammt aus meiner Sicht aus der Partie Kindermann-Markowski, wobei noch zu erwähnen wäre, dass Stefan sie nur deshalb gewann, weil er sich im Endspiel fragte, was Carlsen an dieser Stelle spielen würde...

Die eigentlichen Dramen trugen sich in den Partien Gerigk-Bräuer und Enders-Hoffmeyer zu. Unsere beiden Matadoren hatten sehr stark, ja fast fehlerfrei gespielt, und beide Partien sahen nach einem Sieg für uns aus, wonach das Match zumindest unentschieden geendet hätte. Erasmus verlor jedoch leider den Faden, und landete schließlich in einem Remisendspiel, und Falk ließ sich sogar von GM Enders noch betrügen – wenn auch in Zeitnot und einer taktisch giftigen Stellung, in der auch noch auf der Analyse auf der Heimfahrt die Köpfe der anwesenden Großmeister und Nichtgroßmeister rauchten! Da Elena leider im Endspiel mit einer Qualität weniger verblieb, war das Match zugunsten von Erfurt entschieden, die sich damit verdient an die Tabellenspitze gesetzt haben.

Allerdings ist zu guter Letzt von einer besonderen Begebenheit zu berichten. Dijana spielte nämlich eine Seeschlange gegen Olaf Heinzel, der früher viel in München gespielt hat, und jetzt für Erfurt aktiv ist. Leider hatte der Mannschaftsführer den Zug so gebucht, dass eine maximale Spielzeit von 5 Stunden und 10 Minuten verblieb, um den nach Hause fahrenden Zug zu erreichen. Nun kam die Partie tatsächlich in den berühmten 30-Sekunden-Modus und wollte kein Ende nehmen. Mir blieb daher nichts anderes übrig, als Dijana zuzuflüstern, dass sie nicht mit uns nach Hause fahren würde, wenn die Partie nicht in 5 Minuten beendet sei. Obwohl die Stellung noch Remischancen beinhaltete, ergab sie sich daraufhin ihrem Schicksal, und gab die Partie schweren Herzens auf. Wie gesagt, für das Mannschaftsergebnis war dies nicht mehr von Bedeutung, aber natürlich ist es schmerzhaft für den betroffenen Spieler. Mir passierte selbst einmal etwas ähnliches in der 1. Bundesliga in Berlin, als meine Partie gegen Bagirow so lange dauerte, dass ich mit dem Nachtzug nach Hause reisen musste – allerdings mit einem hart erkämpften Remis in der Tasche!

In der nächsten Runde geht es dann am 9. Und 10. November in der Heimrunde in München gegen Bindlach und gegen Forchheim. Wir werden diesmal nicht in der Schachakademie spielen, weil der Platz dort nicht ausreicht, sondern in einer nah gelegenen Berufsschule – hierzu erfolgt noch eine gesonderte Mitteilung!