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Liebe Schachfreunde von Zugzwang,

die Bundesligaschlussrunde in Berlin war mal wieder ein Wechselbad der Gefühle – vor allem für die vom Abstieg bedrohten Mannschaften. Wir waren in der Hauptstadt vollständig angetreten - bis auf Christoph Eichler der wegen Erkrankung kurzfristig absagen musste.

Das Ringen fing damit an, dass wir dem Hamburger Schachclub (HSK), der sich an diesem Wochenende in bestechend guter Form präsentierte, klar mit 2,5 zu 5,5 unterlagen. Hier die Einzelergebnisse:

Kein einziger Sieg in der Endabrechnung – aber dafür drei Niederlagen. Besonders stark ärgerte sich Stefan Kindermann nach der Partie, der von Rasmus Svane in eine Eröffnungsfalle gelockt wurde. Als ich die Stellung nach dem 8. Zug (d5) sah, rieb ich mir bereits verwundert die Augen:

 

(Swane-Kindermann, Stellung nach dem 8. Zug von Weiß)

Ein ungewöhnliches Stellungsbild. Stefan griff nach längerem Nachdenken zu 8…Ld7, während die Computerempfehlung anti-intuitiv 8… Le7!? 9.dxc6 Dg6 lautet. Ein weiteres Problem ist, dass nach 8… Se7 9.dxc6 Sxc6 10.Lb5 Ld7 vernichtend 11.Dd5 folgt. Wie dem auch sei, die Überraschung war gelungen, und Stefan konnte den weißen Angriff nicht parieren.

Am nächsten Tag ging es dann im Lokalderby gegen den FC Bayern um alles oder nichts, denn allen war klar, dass sich heuer nur eine Münchner Mannschaft in der Liga halten würde. Beunruhigend war, dass die Bayern – anders als im Vorjahr – alles an Großmeistern aufgeboten hatten, was verfügbar war, nämlich Bischoff, Gabriel, Altmeister Ribli und Bezold sowie den von der FIDE frisch ernannten Dragnev. Dagegen hielten wir mit dem 4 Großmeistern Mons, Kindermann, Bromberger und Hertneck sowie IM Zysk.

Zu meiner Gewinnpartie gegen Gabriel muss ich entschuldigend sagen, dass ich in meiner gesamten Turnierkarriere keine so zerrüttete Bauernstruktur hatte, wie in dieser Partie:

(Gabriel-Hertneck, Stellung nach dem 16. Zug von Schwarz)

Dennoch hat Schwarz mit seinem unkonventionellen Aufbau Gegenspiel auf der a-Linie (nach Ta6 nebst Tfa8), und droht auch, sich mit e5 zu entlasten. Gerechterweise hätte die Partie wohl Remis ausgehen sollen, aber es gelang mir noch mit ein wenig Glück, sie zu gewinnen. Das war definitiv ein big point (übrigens mein einziger Sieg in der laufenden Saison) und einer der glücklichsten Momente meiner inzwischen über 40-jährigen Schachlaufbahn.

Besonders gefallen hat mir das Finale in der Partie von Ribli.

(Ribli-Schramm, Stellung nach dem 28. Zug von Schwarz)

Weiß spielte arglos 29.Tae1, um nach Teh7! Zu erkennen, was schief gelaufen war. Urplötzlich droht Matt beginnend mit Dh1+. Da war es kein Wunder, dass Zoltan zum Dauerschach 30.Da8+/ Dc6+ griff. Ein wichtiges Remis  

Roberty Zysk stand die meiste Zeit etwas besser, aber die große Frage lautete, ob es zum Sieg reichen würde. Schließlich war beim Stand von 3,5 zu 3,5 folgende Stellung erreicht:

(Zysk-Lindgren, Stellung nach dem 67. Zug von Weiß)

Ich konnte ehrlich gesagt im Anblick der wenigen verbliebenen Truppen nicht glauben, das Weiß hier noch ernsthaft auf Gewinn spielen kann, doch aufgrund der Fesselung des Läufers auf c7 konnte der d-Bauer bis nach d5 vorstoßen. Was danach geschah, kam mir erneut völlig unerwartet: Schwarz ließ sich (in der Zeitnotphase) Matt setzen.

(Zysk-Lindgren, Schlußstellung). Ein finale furioso!

 

Hier noch die restlichen Ergebnisse:

Wäre dieses Match 4:4 ausgegangen, wären wir in der Endtabelle punktgleich mit dem FC Bayern gewesen, aber nach dem Brettpunktverhältnis hinter dem Lokalrivalen gelandet! Das heißt konkret, wir müssten noch um den Klassenerhalt zittern. Hierzu später mehr.

 

In der Schlussrunde kamen wir dann gegen die Norderstedter, denen bis dahin kein einziger Mannschaftssieg gelungen war. Bis dahin sage ich, und zwar nicht ohne Grund. Auf diesen Kampf möchte ich nur kurz eingehen – zum einen, weil er für uns wenig erquicklich war, zum anderen war er (entgegen vorheriger Erwartungen) nicht mehr abstiegsrelevant.

Schon nach 1 bis 2 Stunden wurde klar, dass wir aus den meisten Partien nicht gut herausgekommen waren (ausgenommen z.B. Stefan K. und der Autor). Tatsächlich passierte dann das Unerwartete : wir verloren das Schlussmatch überraschend gegen einen auf dem Papier unterlegenen Gegner:

Leider muss der Autor dieser Zeilen beichten, dass er zu dem Gesamtergebnis beitrug, indem er eine Gewinnstellung im Endspiel zum Remis verdarb:

(Hertneck-Kopylov, Stellung nach dem 45. Zug von Schwarz).

Was spricht gegen den simplen Vormarsch des Bauern 46.b4? Dieser Freibauer zieht 4 Züge später als Dame ein, und scheinbar ist Schwarz dagegen machtlos. Ich berechnete jedoch zunehmend verzweifelt folgende Variante: 46…Kxf3 47.b5 Kf2 48.b6 Kxf1 49.b7 h3 50.b8D h2, und nun sah ich keine Möglichkeit, den h-Bauern zu stoppen bzw. Zugwiederholung zu verhindern. Natürlich hatte ich noch weiter gerechnet: 51.Dh8 Kg2 52.Dg7+ Kf2 53.Dh6 Kg2 54.Dg5+ und genau hier war mir entgangen, dass im nächsten Zug der Bauer f5 mit Schach fällt. Also 54…Kf2 (oder 54… Kh3 oder 54…Kh1) 55.Dxf5+ Kg2 56.Dg4+ Kf2 57.Dh3 Kg1 58.Dg3+ Kh1 59.Df2! e4 60.Df1 Matt!

 

Stattdessen griff ich nach längerem Nachdenken zu 46.Lh3, doch nach 46…Kxf3 47.Lxf5 e4 48.Kd2 e3+ 49.Ke1 wurde die Stellung unklar. Auch hier hätte es wohl noch eine studienartige Gewinnführung mit Ld3 gegeben. Natürlich erzählte mir jeder nach der Partie (inklusive meinem Gegner), dass b4 leicht gewonnen hätte, aber ganz so leicht fand ich dies nicht (auch in der Nachbetrachtung). Hinzu kam noch, dass ich an diesem Wochenende auf 3 Endspiele und rund 180 Züge kam, sodass eine gewisse Ermüdung auch eine Rolle spielte. Dennoch war dies einer der schmerzhaftesten Momente meiner Karriere.

Nun ist es an der Zeit, auf die Abschlusstabelle zu schwenken:

Baden-Baden und Solingen sind punktgleich, und müssen – erstmals seit vielen Jahren – einen Stichkampf um die Meisterschaft ausspielen (Brettpunkte entscheiden hier nicht). Am unteren Ende sind Norderstedt und FC Bayern München sicher abgestiegen (es sei denn, es passiert noch ein Wunder). Speyer könnte sich halten, wenn es zu wenig Aufsteiger aus den zweiten Ligen gibt, was sich bereits andeutet.

 

Ja und der MSA Zugzwang – an dieser Stelle darf es endlich verraten werden – hat sich erneut in der Liga gehalten, weil der SK Schwäbisch Hall verbindlich erklärt hat, dass er die Mannschaft aus der 1. Liga zurückzieht.  Dies wussten wir aber bereits vor dem Wochenende, was ein wenig Druck aus dem Kessel nahm.

 

Der Blick auf unsere Einzelergebnisse verrät, dass die Ergebnisse durchwachsen waren. Unbestreitbarer Star der Mannschaft war Neu-GM Leon Mons mit einer Performance von rund 2660, zeitweise sogar fast 2700. Und das am Spitzenbrett der wohl stärksten Liga der Welt! Da kann man nur vor Ehrfurcht erstarren. Ebenfalls sehr gute Ergebnisse erzielten GM Kindermann und IM Zysk. Die meisten Spieler bewegten sich dagegen innerhalb ihrer Erwartung, wobei Schramm mit einem Sieg in der letzten Runde eine IM-Norm hätte erzielen können – aber es sollte nicht sein. Ganz unerfreulich verlief die Saison für GM Bromberger und FM Hoffmeyer. Beide hatten in der Vorsaison noch ausgezeichnet abgeschnitten, doch diesmal lief einfach nix zusammen. Es gibt manchmal solche Momente.

 

 

Zu guter Letzt bleibt mir noch zwei Personen besonders zu danken: Käptn Markus Lammers, der die Mannschaft mit ruhiger Hand steuerte, und die Einsätze gerecht verteilte. Und natürlich unserem nun schon langjährigen Sponsor Roman Krulich, der uns in Berlin auch wieder persönlich zur Seite stand und mit uns fieberte. Manchmal denke ich mir, er leidet mehr, als die Spieler am Brett… Übrigens erhielt Roman als Gründer der Münchener Schachstiftung in Berlin auch einen Sonderpreis der Emanuel Lasker Gesellschaft für sein soziales Engagement.

 

Und nun die alles entscheidende Frage: werden wir denn nun wieder für die Bundesliga-Saison 2018/19 melden? Erfreulicherweise ja, nachdem Vorstand und Sponsor einstimmig am 2. Mai diesem Schritt zugestimmt haben! Und das war genau der Moment, auf den wir gewartet haben. Wir sind heiß auf die nächste Saison. ?

 

Berichterstatter: GM Hertneck


 

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