[ud] Nach Allerheiligen und Allerseelen und in Erwartung des Totensonntags treten wir wie schon so oft gegen die starken und gegen uns immer hochmotivierten Bayern in Giesing an. „Der Glückliche“ wagt es dabei sogar, sein blaues Banner gegen die Roten ins Feld zu führen.
The Foole doth thinke he is wise, but the wiseman knowes himselfe to be a Foole.*
Time shall unfold what plaited cunning hides: Who cover faults, at last shame them derides.**
William Shakespeare
Wie schon bei Julius Cäsar gefordert: Let me have men about me that are fat, Sleek-headed men, and such as sleep o' nights („Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, Mit glatten Köpfen, und die nachts gut schlafen“), können wir diesmal zusätzlich auf Martin M. zählen. Für Hugo S. und Robert H. spielen der „Käpt’n“ und zum ersten Mal Martin L. Die jeweiligen Rollen möge jeder für sich selbst auswählen.
Wer’s nicht mehr länger aushält, dem verrat ich’s gleich. Am Ende können wir beide Mannschaftspunkte ins Westend entführen. Allein der Weg dorthin ist lang und nicht der geistigen Gesundheit förderlich. Nicht meiner jedenfalls, der ich schon wieder teils der senilen Brettflucht teils der gegnerischen Gedankentiefe wegen unablässig durch unsere Reihen wandere. Zwei Dinge fallen mir dabei auf. Zum einen das Uhrenduell der Bretter vier, sieben und acht, die alle drei darum betteln, die meiste Zeit zu verbrauchen. Und zum anderen sind es genau diese Gesellen, die dreimal die französische Verteidigung versuchen. Die Zugzwängler an Brett vier und acht mit Schwarz und wenig und an Brett sieben mit Weiß und üppigem Zeitverbrauch.
Aber der Reihe nach. Unser schwarzer Ritter an Brett 1, der dem Namen nach gern in Löwengruben wandelt, folgt getreu den Spuren Meister Rétis. Er wählt den kanonischen Aufbau mit dem Doppelfianchetto – nicht mit 3. e3 wie Delchev empfiehlt, nicht mit 4. Lg2, um auf … Lg4 mit Se5 zu antworten, wie Marin anrät. Sein Gegenüber baut sich dagegen sehr solide mit … Ld6, … De7 und einem geplantem … e5 auf.
Roman, der es heute besser machen will, muss sich mit dem Spezialaufbau des Bayernkäpt’ns auseinandersetzen. Mir scheint, er ist gut vorbereitet und seine Aufstellung gegen 1. f4 gefällt mir bei jedem Zug immer besser.
Zwei Tage vor Martini will unser Recke am dritten Brett seinen Zins einfordern und eine Gans verdienen. Zwar jammert er etwas viel – Zweckjammern? – wegen des angeblich viel zu hohen Brettes, aber ich lasse das einfach nicht gelten. Sein Gegner möchte gern die Slawische Verteidigung probieren, allein Martin spielt dabei nicht mit und antwortet 4. Db3 (ich persönlich halte auch 4. Dc2 für interessant, weil Schwarz dann mit der zusätzlichen Option einer Abart des Katalanischen Gambits nach 4. … d×c4 5. e4 rechnen müsste). Die Idee des Weißen ist jedenfalls, eine ähnliche Struktur wie bei der Katalanischen Eröffnung zu erreichen. Nach Schlagen auf c4 muss sich Schwarz zwischen dem Entwicklungszug nach f5 oder g4 entscheiden. Der Nachziehende folgt brav der meistgespielten Hauptvariante mit … Lf5. Die interessante Entwicklung nach g4 könnte ein phantastisches Damenopfer ermöglichen: 5. … Lg4 6. Sc3 Sbd7 7. e4 L×f3 8. g×f3 e5 9. d×e5 S×e5 10. De2 Lc5 11. Ld2 Sh5! und Schwarz hofft auf 12. f4
Die schwarzen Figuren scheinen zurückgedrängt, aber der unglaubliche Zug 12. … D×d2!! führt zu völlig unklaren Verwicklungen.
So kommt es ja nicht und Martin spult sein Theoriewissen souverän herunter. Den Zug 9. e3 erklärt er mir als eine Kramniksche Feinheit. Und wie ich zu meinem Staunen nachträglich feststelle, hat bereits ein anderer Zugzwängler leidvolle Erfahrungen als Schwarzer gegen Khenkin in Bad Homburg 2010 sammeln müssen (Quiz: Wer ist es?).
Ein typischer Fall des unterschätzten Krankheitsbildes einer schachlichen Störung können wir an Brett vier beobachten. Wie ihr erahnen könnt, handelt es sich um die weitverbreitete schwere Denkstörung des Wahnes. Da wir Spieler sind, nennen wir die Kranken jedoch milder Gaukler. Doch mehr dazu später. Die Eröffnung ist ein Spaß. Wobei der Spaßvogel mit den schwarzen Steinen, seinen Gegner vermeintlich in eine Falle lockt und sich ins Fäustchen lacht. Zuhause bemerkt er aber schnell, dass er schon im vierten Zug falsch liegt. Erst im siebenten Zug bekommt er, was er will:
Hat sein Gegner bis hierher schon etliches an Zeit investiert (3. … Le7 gegen Tarrasch scheint eine Überraschung zu sein), so ist’s nun um ihn endgültig geschehen und ich kann mich für die nächste halbe Stunde den anderen Brettern zuwenden. Tatsächlich gibt es ein kleines Problem, weil nach 8. Sb3 a5 9. a4 Lb4+ 10. Ld2 L×d2+ der König ins Freie müsste, will er keinen Bauern verlieren. Der Wahn macht aber aus dem kleinen Problem ein großes. Mehr dazu später.
An Brett fünf schaue ich mit Interesse zu, denn unser Theoriehai Bernhard spielt gegen einen mutigen Bayern, der das Leningrader System der Holländischen Verteidigung wagt. Nachdem in den letzten Jahren immer mehr Top-Großmeister Holländisch spielen – ich nenne Nakamura, Kamsky, Svidler, Grischuk und Caruana –, gibt es wieder Hoffnung für die schwarze Sache. Bernhard wählt natürlich sofort eines der aktuellsten und kritischsten Abspiele (8. Te1 und 9. e4), dieses Jahr in Gelfand — Svidler und Mamedyarov — Grischuk besonders getestet.
Bei den beiden Haudegen Mauro und Ivica an Brett sechs kommt ein zu erwartender Königsinder mit g3 aufs Brett. Mauro spielt die Eröffnung kreativ und bekommt schon bald die Initiative. Frohgemut wende ich mich dem nächsten Brett zu.
Der Käpt’n, der Käpt’n! Was macht der Käpt’n? Nichts, lautet die Antwort. Hin- und hergerissen von den vielen Möglichkeiten, kann er nicht ziehen und zieht dabei den nervlich gereizten Zuschauer in den verborgenen Malstrom seiner Gedanken. Am Ende erhält er eine spielbare Position, wenn auch mit unsäglichem Zeitverbrauch erkauft:
Hier könnte Felix mit 16. d×c5 b×c5 17. La3 eine unklare Stellung bekommen. Leider ist er zu sehr vom schwarzen Monarchen angetan, hypnotisiert sucht er den Angriff, unterschätzt aber den schwarzen Widerstand.
Auch der nächste „Franzose“, am achten Brett durch Martin L. zelebriert, verspricht Spannung. Sein Gegenüber spielt eine interessante Nebenvariante gegen die Winawer-Variante mit 7. h4. Nach 7. … Da5 8. Ld2 Da4 9. Db1 empfiehlt Emanuel Berg 9. … Sbc6!. Martin verliert in dieser Phase etwas den Kopf und riskiert ihn kurz darauf tatsächlich zu verlieren:
Bekanntlich fehlt dem Schwarzen in der Winawer-Variante der schwarzfeldrige Läufer. Mit 7. h4 will Weiß den Randbauern tief in die schwarze Stellung rammen. Eine Faustregel besagt: Ist der Bauer auf h5 angekommen, sollte ihn Schwarz spätestens jetzt mit h6 stoppen. Also 12. h6!. Dieser Vorstoß und sein Stopper wird in der Partie mindestens noch viermal Thema sein. Zum Glück für Martin verweigert ihm das sein Gegner konsequent.
Was tut sich am Spitzenbrett?
Ehrlich gesagt hat sich Schwarz harmonisch aufgebaut und ich sehe wenig Entfaltungsmöglichkeiten für Weiß. Vor allem kann er … e5 nicht mehr aufhalten. Eine typische Folge wäre jetzt 11. Dc2 e5 12. e4 d×e4 13. d×e4 Tfd8 14. h3 Lh5 15. Sh4 mit gleichen Chancen.
Daniel will aber weiter „like a Réti“ spielen und spielt 11. Ta2!?. Schwarz nutzt die Gelegenheit und stößt im Zentrum vor.
Es folgt unangenehm 16. … e3 und nach 17. f4 L×d4 18. L×d4 c5 bietet er Daniel ein Remis an.
Daniel akzeptiert und verlässt unheimlich unerkannt den Spielort. Warum?
Er hätte schon noch weiterspielen können, wenn er nach 18. … c5 19. L×f6 S×f6 (19. … D×f6 20. D×f6 S×f6 21. c×d5 S×d5 22. Tc2 b6 23. d4! c×d4 24. T×d4 Se7 25. Te4 Ta7 26. T×e3 ±) den starken Damenzug 20. De5! gesehen hätte.
Immerhin ein saubere Angelegenheit.
Roman hat inzwischen den weißen Aufbau seines Gegners auseinandergerupft:
Folgerichtig packt er den zentralen Hammer aus mit 20. … e5!. Der weißen Stellung droht der sofortige Kollaps. Sehr erfreulich für uns.
Und Martin M.?
Er hat’s nicht so schön hinbekommen, wie er wollte. Schwarz sucht Gegenspiel auf der c-Linie. Muss er auch, sonst kommt am Ende der Läufer auf g6 Probleme (Sf4 und h4–h5 ist ein Motiv). In der obigen Position könnte Martin statt wie in der Partie auf der c-Linie zu opponieren mit 17. Tab1 interessante Verwicklungen hervorrufen. Zum Beispiel:
A) 17. … D×c3 18. T×b7 Tfd8 19. Tc1 Da3 20. S×c5 L×c5 (20. … S×c5 21. d×c5 L×c5? 22. Tb3 Da5 23. Tb5 Da6 24. Tc×c5 +–) 21. Tb3 Da5 22. d×c5 ±;
B) 17. … c×d4 18. c×d4 Da6! mit leichtem Vorteil Weiß.
Trotzdem gelingt es ihm, seinen Gegner unter Druck zu setzen. Der spannende Kampf kulminiert im Zentrum, als es Schwarz nicht mehr aushält und gegen die Drohung h5 nichts Besseres findet als mit … e5 an seiner eigenen Stellung herumzuzündeln.
Martin bleibt cool und nach 24. Sd5! wird klar, dass er eine Qualität gewinnen wird. Das ist ja auch sehr erfreulich!
Viel schlimmer kommt es an Brett vier. Inzwischen hat sich mein Gegner etwas ausgedacht. Er hat mir zwei Bauern geschenkt und will mich jetzt mattsetzen. O nein!
Diese Stellung habe ich mehr oder weniger bewusst herbeigeführt. Mein Gegner hat nur noch wenige Minuten für fast zwanzig Züge, da wird es schwierig, klar zu denken – geht schon im Normalzustand kaum. Jedenfalls dachte ich, dass ich zur Not den h6 geben kann. Auf der Plus-Seite steht dann noch ein Mehrbauer, das Zentrum, ein Läuferpaar und deplatzierte Figuren bei Weiß (Sb3 und Th3). Natürlich habe ich g3 und f4 kommen sehen und wollte bereits zum vorbereiteten Gegenschlag mit … e5 ausholen. Also 21. g3 Lg5 22. f4 e5! 23. f×g5 L×h3! Da durchzuckt es mich plötzlich: Ach du Sch… Schande 24. T×f7 K×f7 25. Dh5+ Ke7 26. D×h3. Mist!
Nun, klinisch betrachtet, handelt es sich hier um eine klassische folie à deux. Mein Gegner hoffte auf diese „Kombination“ und ich erschrak deshalb so stark, dass ich ihm glaubte. Natürlich hätte ich ihm die kurze Freude gönnen sollen. Spätestens nach 26. … Db6+ wäre er wahrscheinlich ein letztes Mal in dumpfes Brüten verfallen und hätte die Zeit überschritten. Nach 27. Kg2 (27. Kh1 Df2! 28. Dg2 Tf8 29. D×f2 T×f2 30. Kg1 Tb2 31. L×h7 h×g5 –+; 27. Kf1 Tf8+ 28. Lf5 De3 –+) 27. … Tf8 28. Lf5 (28. D×h6 Tf2+ 29. Kh3 D×h6+ 30. g×h6 e4 –+) 28. … h5! gewinnt Schwarz.
Kleinlich habe ich zu meiner Notlösung gegriffen. Was nicht so schlecht war, denn mein Gegner hat dann in Zeitnot seine Figuren so ungünstig eingeklemmt, dass ich seine Dame fangen konnte.
Zwischenstand: ½:1½
Was ist inzwischen bei Bernhard passiert?
Sein Gegner hat ungenau mit dem Springer auf e4 genommen (normalerweise schlägt Schwarz immer zuerst mit dem Bauern) und es ist folgende Stellung entstanden:
Eine typische Stellung. Schwarz macht Druck gegen d4 (auch mal mit … Lf5 und … Lg4) und auf der f-Linie (Punkt f2!). Wenn alles gut geht, kommt er auch zu … e5. Weiß dagegen hat Raumvorteil, oft Spiel auf der e-Linie gegen den rückständigen Bauern und das geschwächte Feld e6 und viele taktische Möglichkeiten, z. B. auf der Diagonalen a2–g8 (wenn da mal ein Läufer auftaucht!), Sg5 liegt in der Luft und auch Tf4 oder Th4 sind attraktiv.
Die beste Fortsetzung ist jetzt 12. Le3!. Eine typische Variante ist 12. … Lf5 (12. … h6 13. d5 Se5 14. S×e5 d×e5 (14. … L×e5 15. Dd2 h5 (15. … g5 16. h4 Lf5 17. T×e5 d×e5 18. h×g5 ±) 16. Lh6 Te8 (16. … Lg7 17. Tae1! Te8 18. L×g7 D×g7 19. Dg5 ±) 17. Tae1 Lf5 18. T4e3 Lf6 19. h4, mit Druck auf der e-Linie) 15. c5 a5 16. Dd2 ±, wie in Hawkins — Demac, Hastings 2010 bzw. Summerscale —Addison, Torquay 2009) 13. Th4 h5 14. Sg5 Df6 (14. ... De8 15. h3) 15. h3!, und Schwarz hat große Probleme.
Leider findet Bernhard auch nach langem Denken diesen Zug nicht und muss sich mit einer sehr ausgeglichenen Stellung begnügen.
Hier wäre eine gute Gelegenheit, die Notbremse zu ziehen und mit 19. D×b2 D×f3 20. Df6 den Ausgleich sicherzustellen. Ein Unglück kommt selten allein. Bernhard will das nicht wahrhaben und spielt sich um Kopf und Kragen.
Zwischenstand: 1½:1½
An Brett sieben spitzen sich die Dinge zu. Leider hat Felix wieder einmal keine Zeit. Phasenweise spielt er richtig gut, um dann im entscheidenden Moment – wegen mangelnder Zeit – zusammenzubrechen. Pfui Deibel!
Bis hierher hat Felix die Stellung trotz rasender Zeitnot zusammengehalten. 26. Dh3! ist ein starker Zug. Nach 26. … Db4 (siehe Diagramm) hat er die Chance: 27. Tc7! T6f7 (27. … Sg6 28. g5! T6f7 29. Tc6 (29. T×f7 T×f7 30. g×h6 (30. D×e6? Te7) 30. … De1+ 31. Tf1 Dh4 32. D×h4 S×h4 unklar) 29. … S×f4 30. L×f4 T×f4 31. g6+! Kh8 32. T×f4 T×f4 33. Tc8+ Tf8 34. T×f8+ D×f8 35. D×e6 =) 28. Df1 (28. T×a7!? De1+ 29. Kg2 Sf5! 30. T×f7 S×e3+ 31. D×e3 D×e3 32. T×f8 D×d4 unklar) 28. … a5 29. Dd3+ Kg8 30. Lc1 =. Aber leider ist das mit so wenig Zeit nicht zu sehen.
Zwischenstand: 2½:1½
Dafür muntert mich die Stellung bei Martin M. auf. Nach seinem Qualitätsgewinn und einigen Ungenauigkeiten später ist dieses Endspiel entstanden:
Leider hat er den g-Bauern für den b-Bauern gegeben, sodass die technische Phase etwas schwieriger wird als erhofft. Aber Schwarz kann nicht viel machen und muss immer auf seinen a-Bauern aufpassen. Martin manövriert gekonnt seinen Widerpart aus und schafft folgende Zugzwang-Stellung:
Der schwarze Läufer ist überlastet. Er kann nicht gleichzeitig den a- und den f-Bauern decken. Nach wenigen weiteren Zügen gewinnt Martin.
Zwischenstand: 2½:2½
Ich dachte, dass bei Mauro irgendetwas drin sein müsste, habe es aber bei meinen Wanderungen um sein Brett nicht erkennen können. Leider ist die Partie nur unvollständig und fehlerhaft erfasst worden. Deshalb kann ich nicht sagen, ob folgende Stellung tatsächlich auf dem Brett stand:
21. … Dd4+ (21. … e3! gewinnt) 22. Te3 Tg8 (22. … Sc2! gewinnt). Aber das sieht Mauro bestimmt, also kann die Stellung nicht stimmen.
Nach einigem Hin und Her entsteht ein Endspiel, in dem Mauro trotz aller Bemühungen nicht durchdringen kann und so endet diese Partie Remis.
Zwischenstand: 3:3
Und wie geht es unserem anderen Franzosen?
Zwischenzeitlich bin ich ja ins Schwitzen geraten ob des sehr optimistischen Spiels von Martin L. Zum Beweis diese Stellung:
Die schwarze Dame steht sehr vorwitzig auf g4. Was sind die nächsten Züge? Weiß könnte mit dem typischen Turmzug 15. Th3! Schwarz vor große Probleme stellen, zum Beispiel 15. … 0–0 (15. … Da4 16. c4! d×c4 17. L×f5 e×f5 18. h6! g6 19. e6! Das sind die tödlichen Sticheleien mit den Bauern. Was tun?) 16. a4 Die Dame steht patt! Was kann Schwarz gegen das drohende Sh2 machen?
Gott sei Dank hat sein Gegner aber wegen seines unsichtbaren Zeit-Wettstreits mit Felix und meinem Gegner kaum noch genügend Ruhe, um sich diese Variante und damit Martin schlachtfertig zurechtzulegen. Dann geht’s ja wieder.
Danach haben beide wild manövriert, Weiß hat keinen Zugang zur schwarzen Position gefunden und Martin seinerseits hat ganz abgeklärt fraahhnssööösiiisch den Bauern a3 einverleibt. Die Dame flugs in die Verteidigung zurückbeordert und den freien a-Bauern auf die Reise geschickt. Bildlich sieht das dann so aus:
Weiß kann gegen den Vormarsch nicht viel unternehmen, sein letztes Aufbäumen mit Lf6 wird prosaisch mit 32. … T×f6 abgewehrt, wonach die Partie entschieden ist. Martin hat den technischen Teil dann auch souverän abgewickelt. Hurra! Erster Einsatz und voller Punkt!
Zwischenstand: 3:4
Das heißt, wir brauchen nur noch ein halbes Pünktlein für den Mannschaftssieg. Wie steht’s damit, Roman?
Leider konnte Roman die Partie nicht im Mittelspiel entscheiden. Sein Gegner wehrte sich dagegen, musste dafür aber einige Landwirte hergeben. Mir persönlich graut vor diesen Damenendspielen. Da die anderen Partien beendet sind, pendeln wir Kiebitze nervös zwischen den Analysebrettern im Außenbereich und Romans Brett hin und her. Bedenklich die knappe Zeit von Roman. Glücklicherweise gibt es 30 Sekunden Aufschlag für jeden Zug, sodass Zeitüberschreitung eigentlich nicht infrage kommt. Aber wer weiß!
In der dargestellten Position muss sich Roman entscheiden, wohin er mit dem König will. Zu diesem Zeitpunkt ist ihm dies nicht klar und er wählt den unverdächtigen Zug 42. … Ke7. Stark wäre das sofortige Nach-vorne-Laufen des Königs gewesen. Zum Beispiel: 42. … Kf6! 43. Dd5 (43. Dg8 Df3+ 44. Kg1 Dg3+ 45. Kh1 D×d3 –+) 43. … D×b4 44. Dd8+ De7 45. Dh8+ Kg5 46. Dg8+ Kf4 47. Dc4+ Ke3 48. Dc1+ K×d3 –+. Aber der Zug vergibt nichts.
Viele Züge später, nachdem Roman mich nervlich endgültig ruiniert hat, indem er immer wieder mal die Uhr auf 9 bis 12 Sekunden hat ablaufen lassen, besinnt er sich auf den richtigen Gewinnplan, der im Königsmarsch nach vorne zu den eigenen Freibauern besteht. Zeitüberschreitung wäre die einzige Variante, wie wir den Mannschaftssieg noch gefährden könnten. Aber nachdem Roman den richtigen Weg eingeschlagen hat, sieht es zeitlich wieder besser aus und auch sein Gegner nähert sich mit seiner Restzeit Roman an, sodass ein hinterlistiger Remisplan schwer zu schmieden sein wird. Wie der Teufel es will, müssen wir dennoch einen kurzen Augenaufschlag lang zittern:
83. De3+? Stöhn! und Ächz! und Schnauf! Wenn ich es recht sehe, hätte Weiß nach 83. Dg7+ Kf4 84. Dc7+ Kf3 85. Db7+ Kf2 86. Db6+ Ke2 87. Db2+ ein Dauerschach geschafft. Danach lässt Roman den Weißen nicht mehr vom Haken und holt sehr sicher den ganzen Punkt ins Westend. Ist auch sehr verdient, aber wir kennen das ja mit den Pferden und der Apotheke …
Endstand: 3:5
So, das wahnhafte und gauklerische Treiben hat jetzt ein Ende, geneigter Leser, was hat es nun mit den Wahrsagern auf sich? Nun, leider nichts mit unserem eigenen Spiel. Um unsere geistige Gesundheit nicht weiter zu schinden, brauchen wir Speis und Trank! Glücklicherweise befindet sich gegenüber der Spielstätte ein netter Italiener, wo wir uns mit Pizza und Gerstensaft erquicken können. Nebenbei spu(c)kt das Smartphone noch die Züge der laufende Weltmeisterschaftspartie aus. Damit befassen wir uns endlich mit „echtem“ Schach, auf dass es auf uns abfärbe! Siegestrunken – oder war es das Helle? – wetteifern wir im Vorausahnen des nächsten Carlsenschen Zuges – und sapperlot! manchmal können wir einen Zug vorhersagen.
* Der Narr hält sich für weise, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist. (Wie es euch gefällt 5,1)
** Was List verborgen, wird ans Licht gebracht; Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht. (König Lear 1,1)