Φιλοκαλοῦμέν τε γὰρ μετ' εὐτελείας καὶ φιλοσοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας· πλούτῳ τε ἔργου μᾶλλον καιρῷ ἢ λόγου κόμπῳ χρώμεθα, καὶ τὸ πένεσθαι οὐχ ὁμολογεῖν τινὶ αἰσχρόν, ἀλλὰ μὴ διαφεύγειν ἔργῳ αἴσχιον[1]

[1] „Denn wir sind Ästheten mit Augenmaß und wir sind Grübler ohne Entschlusslosigkeit; Reichtum nutzen wir, um zur rechten Zeit etwas damit anzufangen, und nicht um damit anzugeben, und seine Armut einzugestehen ist für niemanden eine Schande, nicht zu versuchen, ihr durch Arbeit zu entrinnen, schon eher.“ Thukydides. Der Peleponnesische Krieg. Zweites Buch, 40,1. Übs. Michael Weißenberger.

 

[ud] … ich fang mal von hinten an:

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V.l.n.r.: Markus, Lukas, [Fotograf], Jason, Lars.

Wir waren nicht die gehörnten, wie die Geweihe im Bild suggerieren könnten. Das Analysebrett steht bereit, ebenso das wohlverdiente Kaltgetränk. Unser Spielleiter war sichtlich mit der Leistung unserer Kämpen zufrieden und feierte dies ausgiebig mit einer — Hollunderschorle. Hüstel.

Der Schreiber dieser Zeilen war zufällig nicht im Bett – senil? – sondern beobachtete stattdessen das Brett. Äh, Bretter.

Ich bin gegen Mittag eingetrudelt und war gleich erstaunt, wieviel Bedenkzeit auf beiden Seiten bereits aufgebraucht war. An vielen Brettern war etwa eine halbe Stunde übrig (ein Nebeneffekt der modernen Fischer-Kurz-Bedenkzeit von 90 Minuten für 40 Züge plus 30 Sekunden je Zug), aber die Zugzahl wies lediglich zwischen zehn und zwanzig auf. Ja klar, beide Seiten wussten seit der Auslosung, dass dieser Kampf schwierig werden könnte. Und wir wussten seit der letzten Saison, was alles schief laufen kann und wollten nicht wieder mit vier Niederlagen nach fünf Spieltagen dastehen.

Mir ahnte, dass es ein langer Kampf werden könnte. Der Schnitt beider Aufstellungen war sehr ausgeglichen (ca. 2130 DWZ), bei uns mit einem leichten Gefälle von 2300 nach 2000, beim Münchener SC II sehr ausglichen im 2100-Bereich. Das war beim ersten Überfliegen der Stellungen auch gleich gut zu bemerken: Mir gefielen die ersten drei Bretter sehr gut für uns.

Mein Eindruck beim ersten Rundgang war folgender: Brett 1 (Falk) hatte gerade mit Schwarz einen Zentralbauern geschnappt, sehr aussichtsreich.

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Brett 2 (Erasmus) steht völlig auf Gewinn, das wird wohl schnell fertig sein.

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Brett 3 (Alexander) sieht kreativ und aussichtsreich aus.

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Brett 4 (Jason) steht seltsam passiv und hat viel weniger Zeit, verstehe die Eröffnung und daher die Stellung nicht.

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Brett 5 sieht bequem für Schwarz, also Lukas aus.

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Brett 6 (Lars) hat einen Bauern für Druck gegen den Damenflügel geopfert, also typisch für eine Katalanische Eröffnung, aber leider viel zu viel Zeit verbraucht. Mal sehen.

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Brett 7 (Felix) sieht nach einem typischen Königsinder aus: Schwarz versucht sich am Königsflügel, während Weiß den schwarzen Damenflügel erobern möchte. Im Moment muss sich Schwarz gegen die Initiative des Anziehenden erwehren. Es gibt diverse Drohungen, z. B. Einschläge auf b6, außerdem droht mal die Aufrollung mit a2–a4–a5, was nicht ignoriert werden darf.

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Brett 8 (Hubert) sieht auch schon sehr vielversprechend aus. Eine schöne und typische Angriffsstellung aus einer Abart des Londoner Systems.

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Also wie steht es? Mmh. Meine Einschätzung war: Mindestens 4 Punkte. Mal sehen, wie sich der Kampf entwickelt.

Das Zeitmanagement etlicher Spieler in unserem Team gefällt mir überhaupt nicht. Jetzt kriege ich noch mehr graue Haare — das muss doch nicht sein! O je! Lukas scheint eine Qualität zu verlieren, hat er dies übersehen oder war es ein Opfer? Muss ich mir genauer anschauen. Was ist denn bei Erasmus los?

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Ich kann nicht glauben, dass Schwarz am Königsflügel zum Erfolg kommen kann. Warten wir ab.

Und Brett 3?

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O shit, hat Alexander den Damenausfall übersehen?

Mit Jason bzw. seiner Stellung bin ich wieder zufrieden:

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Lukas hat tatsächlich eine Qualität verloren, aber seine überwältigende Kontrolle der schwarzen Felder sieht erstmal stark aus. Wo kann Weiß hier gefährliche Fortschritte machen? Nicht so einfach.

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Lars hat immer noch einen Bauern weniger und Schwarz tauscht munter Figuren ab. Aber Kompensation sollte noch vorhanden sein, das nehme ich in meinem Zugzwang-Optimismus zumindest an.

Aaaaahhh!!! Was passiert bei Felix? Hat er doch den Bauern auf b6 eingestellt?

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Uff. Weiß hat was übersehen. Was?

Und Hubert? Das sieht jetzt nach einem klaren Angriffssieg aus! Ich sehe nicht, wie Schwarz sich verteidigen kann. Das sollte schnell vorbei sein. Bravo!

Neue Runde — ja, als Kiebitz muss man gut zu Fuß sein …

Falk verwaltet seinen Mehrbauern, scheint aber keine essentiellen Fortschritte machen zu können. Nun gut, da muss man abwarten, wie sich das Gesamtbild zusammenfügt und entsprechend reagieren. Alles noch drin.

Erasmus hat von den drei Mehrbauern keinen mehr übrig und Schwarz plustert sich mächtig auf der g-Linie gegen den weißen König auf.

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Wie ist das einzuschätzen. Ich vertraue ganz und gar auf die Bundesliga-Härte von Erasmus!

Was passiert denn an Brett 3 und Alexander? Kann Weiß hier wirklich in eine vorteilhaftes Endspiel mit Damentausch und Mehrbauern abwickeln?

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NEIN!!!

Alexander gewinnt in großem Stil mit:

28. … T×e2 29. D×f6? Lc5+ 30. Sd4 g×f6, und Aufgabe, da das Matt nicht mehr weit ist.

Bei Jason scheint das Spiel zu verflachen und wird sehr wahrscheinlich in einem Unentschieden münden.

Lukas hat die Stellung fest im Griff und ich sehe nicht, wo Weiß erfolgreich mit seinen Türmen eindringen könnte. Auch hier bin ich überzeugt, dass es Remis wird.

Bei Lars ist die Stellung zugunsten Lars’ gekippt. Das Endspiel ist hoffnungslos für Schwarz:

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Sehr gut! Aber was macht unser (Uhren-)Sorgenkind?

O je! Ein Zeitnotkampf. Felix hat eine Mehrfigur, aber Weiß hat alle möglichen taktischen Tricks in petto. Wenn er die Zeitnot ohne groben Fehler übersteht, wird er gewinnen und sonst …?

Hubert lässt in der Zwischenzeit seinem Gegner keine Chance. Sein Angriff über die h-Linie schlägt durch. Das bedeutet: Wir führen 2:0!

Jetzt folgt das Remis von Jason und der Sieg von Lars, sodass es bereits 3½:½ steht. Danach folgt noch ein sicheres Remis von Lukas, womit wir einen Mannschaftspunkt sicher haben, 4:1.

Und dann kann Falk den Mannschaftssieg durch sein Unentschieden festmachen, er braucht nicht mehr auf Biegen und Brechen auf Sieg spielen, das Remis genügt zum 4½:1½-Zwischenstand.

Es bleiben die zwei Partien von Erasmus und Felix. Felix hat die Zeitkontrolle geschafft, aber was ist mit ihm nur los? Er hat doch nur noch eine halbe Stunde für den Rest der Partie und versinkt in dumpfes Grübeln. Bitte nicht! Wieder müssen wir zittern — weniger wegen der Stellung, sondern wegen der verrinnenden Zeit.

Erasmus dagegen beweist seinen Bundesligahärte und schafft es in ein gewonnenes Endspiel abzuwickeln:

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In der Zwischenzeit hat Felix Erbarmen um mich alten ergrauten Wicht und findet den Weg zum Sieg. Und die Partie, bei der ich dachte, dass sie schnell vorbei wäre, ist nun die längste der Begegnung geworden. Aber Erasmus bringt auch diese sicher zum nicht geglaubten Kantersieg von 6½:½ nach Hause.

Gratulation!

P.S. Eine etwas genauere Betrachtung der Partien findet ihr zum Nachspielen hier: