Zugzwang IV versus Poing I
Chronik einer Niederlage
oder:
Kampfname ToLL
Variationen zu einem Thema
Die Geschichte des Wettkampfes unserer vierten Vertretung mit dem Tabellenführer kann kurz, kann aber auch ausführlich geschildert werden. Der Vollständigkeit führe ich beide Versionen auf.
Variation 1
1. LL greift zum Telefon.
2. Hans-Peter ordert ein Pfannengemüse mit Reiberdatschi (für Zuagroaste: Des hoaßt ma im Hochdeutschen: „Kartoffelpuffer“).
3. Gspuit werd a!
[„Es werden Figuren bewegt.“ aus: LEO’s bavarian - german dictionary]
4. Alles schitte, deine Emma.
Variation 2
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch erhielt ich eine unheilschwangere Mail. Von personellen Schwierigkeiten war da die Rede, weiter von spirituell-esoterischen Verflechtungen zwischen Günni, Julian und Boris. Ich fürchtete, die Illuminati könnten zurückgekehrt sein und hortete rasch Grundnahrungsmittel auf dem Dachboden.
Im Laufe des Mittwochs konnte ich einiges klären: Zunächst, dass Robert mich zwar verwirrt hatte, dieses aber nicht vorsätzlich. Dafür ist er ja auch viel zu putzig. Zum Weiteren, dass man dem Kerl mit Waffengewalt drohen muss, wenn man Antwort auf eine offene Frage haben will. Ich hab dann auch nur noch geschlossene Fragen gestellt. So konnte ich eruieren, dass ein Spieler gebraucht ward. Also machte ich mich auf den Weg in die Schmellerstraße.
Dort marschierten auch bald in Reih und Glied die Poinger (gesprochen: Peunger) ein, nahmen sortiert Platz an den Brettern und belehrten mich (wie später noch öfter) über das Regelwerk: Der Schwarze habe ein Wahlrecht bzgl. des Standortes der Uhr! Mit neu gewonnenem Selbstvertrauen klärte ich diesen gequirlten Unfug im Handstreich.
Ruhig und mittlerweile ansatzweise domestiziert warteten die Peunger auf das Zeichen, dass der Wettkampf begonnen habe – um dann, wie es so oft geschieht in unteren Klassen – kaum dass die Uhren liefen – lautstark das Deklamieren zu beginnen. Z. B.: „Solchane Uarn hamma a – aba nutzn dua mas nie!“ Das ist Original-Ton Süd. Hochdeutsch bedeutet es frei übersetzt: „Auch wir in Poing verfügen über elektronische Uhren – wir benutzen sie aber nie!“ (Frage: Warum habt ihr dann welche gekauft?). Das Thema hätte auch zuvor erörtert werden können – aber es ist ja kein Einzelfall, dass Spieler der Meinung sind, Turnierruhe bedeute, ruhig zu sein bis zum Turnier, um – kaum hat es begonnen – die Schallfestigkeit der Außenwände zu erproben.
Gut, dass der Herr mich (ein bisschen) Demut gelehrt hat.
Pause, durchschnaufen.
Schreiten wir nun voran, kommen wir zum Geschehen auf den Brettern.
HaPe K. (nicht der Fernsehmoderator) ersann alsbald einen mehrstufigen Weg zum Erfolg:
Phase 1
Man stelle möglichst viele Figuren auf den Königsflügel und motiviere den Gegner dazu, selbiges zu tun.
Phase 2
Man achte tunlichst darauf, dass sich die Figuren gegenseitig decken oder es wenigstens so aussieht als ob.
Phase 3
Man nehme die eigene Dame in die Hand, schlage die gegnerische und lasse sich nicht beeindrucken von dem lautstarken Gejammere, wenn der Spielpartner merkt, dass seine Monarchin ungedeckt war.
Phase 4
Man ergreife wenig später erneut die Dame, schlage damit einen Bauern und insistiere darauf, dass a) der Bauer nur vom König gedeckt ist, b) die Dame durch einen Springer f5 abgesichert wird, c) der König angegriffen ist, und d) derselbe kein Feld mehr hat (was Dazwischenziehen war bei weißer Dame g7 und schwarzem König g8 nicht möglich). Sowas nennt man gemeinhin Matt. Und davon hatten – trotz aller bereits geschehenen und noch kommenden lustigen Belehrungen – sogar die Peunger schon mal was gehört.
1 – 0 für Zugzwang.
Bald darauf war bei Peter ein messerscharfes Endspiel mit Springer plus sechs Bauern (Peung) gegen Turm und vier Bauern (Peter) zu beobachten. Aber: Wie allseits bekannt müssen alle Endspiele sofort nach der Entstehung Remis gegeben werden – nachzulesen im „Allgemeinen Poinger Schachregularium“. So geschah es – ordnungsgemäß!, zu zwei außerordentlichen Fällen kommen wir später – auch hier.
1,5 – 0,5 für Zugzwang.
Boris hatte sich in der Zwischenzeit in eine schwierige Lage gebracht: Sein Angriff am Königsflügel kam nicht recht in Fahrt, der Weiße machte mit drei Schwerfiguren plus Läuferpaar mächtig Druck auf den Zentrallinien und -diagonalen – das sah nicht gut aus. Und tatsächlich: Trotz zäher Gegenwehr musste unser Frontmann die Waffen strecken.
So was kann passieren, das ist kein Drama, und ausmachen sollte es auch nichts: Hatten wir doch auf Platte 2, 3, 4, 5 und 6 gutes Spiel bis hin zu klarem Vorteil. Da sollten mindestens drei Punkte rausschauen und dann wäre der Drops gelutscht.
Innehalten. Luft schnappen. Ich garantiere Euch: Sowas habt Ihr noch nicht gesehen:
Ende einer Ära?
Dr. Herbert G. – der informierten & interessierten Schachöffentlichkeit besser bekannt unter seinem Pseudonym Mofd (Master of drawn) – hatte allen Ernstes einen Läufer auf b1 geparkt, einen Springer auf f5 installiert und zu allem Überfluss auch noch die weiße Dame auf die h-Linie gestellt. Und das alles gegen einen kurz rochierten schwarzen König! Sollte etwa, … tatsächlich, … Angriff? Wenig später war der Spuk vorüber, die Damen getauscht und das Endspiel erreicht. Nach dem Wettkampf klärte uns Dr. G. auf, dass er selbstverständlich zu keinem Zeitpunkt jemals vorgehabt hatte, etwa Matt zu setzen. Er wollte nur einen Bauern gewinnen.
Welchselbes jedoch misslang. Und dann wurde es richtig unangenehm: Entgegen allem, was im Schach von Belang ist: „„Allgemeines Poinger Schachregularium“ – s. o. – dem Fundamentalsatz „Turmendspiele sind immer Remis!“ sowie der Tatsache, dass da der Mofd – his honest & highly majesty – höchstpersönlich am Brett saß: Herbert sollte dieses Endspiel verlieren.
Hunderttausend heulende Höllenhunde: Zuvor hatten auch Werner und Robert ihre schönen Stellungen versenkt. Und trotz des Sieges des Materialwartes auf 4 war der Wettkampf plötzlich verloren.
Domm.
Bleibt noch von Martins Partie zu berichten. Nervenschwache Gemüter werden gebeten, sich zunächst Baldrian zu verabreichen. Aus der Eröffnung heraus geriet der Peunger unter Druck, unter noch mehr Druck, verliert den ersten Bauern, denkt übers Aufgeben nach – startet aber noch einen letzten Versuchsballon in Form eines Fantasy-Angriffs. Jetzt noch den zweiten Bauern nehmen, Damen tauschen, aus. Was aber tut Martin? Er denkt, grübelt, sinniert, verknotet dreimal das Hirn – und macht einen „Sicherheitszug“. Jetzt ist Schwarz dran und kann sich dreizügig eine Figur und damit die Partie holen. In diesem Moment aber kommt ein Schutzengel XXL herabgeflogen, setzt sich auf Martins Schulter und flüstert ihm in’s Ohr: „Maddin, du bist ein grauenerregender Schachspieler. Aber ansonsten eigentlich ein ganz netter Kerl. Und deshalb gebe ich dir noch eine Chance.“ Das alles hat er aber so leise geflüstert, dass ich es gar nicht gehört habe. Mit anderen Worten: Niemandem – weder Spielern noch Zuschauern – war, solange die Partie noch lief, aufgefallen, dass Schwarz einen Halbzug lang hätte gewinnen können.
Wenige Züge später habe ich dann zum zweiten Mal den Gewinn ausgelassen. Das Geschrei von dem Engelchen auf meiner Schulter hallt mir jetzt noch im Ohr.
Und dann ging es ins Endspiel. Sah sich irgendwie ganz anders aus als die schön strukturierten Lehrbuchbeispiele: Zwar hat Weiß einen Mehrfreibauern auf der a-Linie, aber eben auch einen schwachen, dauernd schutzbedürftigen Landwirt auf der d-Linie. Und Schwarz kann sich ebenfalls einen Freibauern bilden – namentlich auf der h-Linie. Dann neutralisieren sich die beiderseitigen Einzugsdrohungen eventuell. Glücklicherweise kam der Schwarze nicht auf die schlaue Idee der Freibauernbildung (das ist ihm erst nachher aufgefallen), weil er zur Gänze damit beschäftigt war, mit Zieh-Zügen die Zeitkontrolle zu erreichen. Hier waren dann erneut die Peunger Regelkundler gefragt, die unaufgefordert jedem, der es nicht hören wollte, mitteilten, dass die Zeitkontrolle erreicht ist, wenn ein Spieler 40 Züge absolviert hat. Es sagt zwar schon das Wort Zeitkontrolle, dass die Zeit kontrolliert wird (und dann erst die Züge), aber …
Mit noch 4 Sekunden auf der Uhr erreichte Schwarz den vermeintlich sicheren Hafen des 41. Zuges.
Freundlicherweise gab es dann wenig später zur Abwechslung mal keinen Ärger, als meine Zeit fiel: In Augsburg vor zwei Jahren durfte ich mich mit einem Schiedsrichter rumschlagen, der strikt darauf bestand, dass es 41 Züge sind, die vor Blättchenfall zu absolvieren seien. Zum Glück war meine Stellung damals eh aufgabereif. Dennoch kriege es nicht gebacken, wieso derart viele Zeitgenossen durch die Gegend rennen und unaufgefordert ihre „betonsichere“ Regelkunde anbringen – wo sie doch gar nichts wissen, alles falsch machen und unter Garantie noch nie in ihrem Leben in das Regelwerk auch nur einen einzigen Blick geworfen haben.
Herr, gib mir die Gelassenheit, usw.
Jau. Genau. Wo war ich? Richtig: Dieweil sich Schwarz die Zeit mit Zieh-Zügen vertrieben hatte, und damit auch nach dem 40. noch weitermachte: Derweil hatte ich meine Figuren koordiniert, die schwarze Bauernstruktur festgelegt und den König aktiviert. Jetzt hatte ich einen echten Mehrfreibauern bzw. zwei halbfreie Kandidaten, noch zwanzig Minuten auf der Uhr und sehr viel Zuversicht. Und dann: Dann hat der Spieler von Poing entnervt und erschöpft aufgegeben. Vermutlich auch, weil er gemerkt hat, dass ich ihn am Ende ohne Skrupel über die Zeit gezogen hätte. MERKE: In einem absoluten Tot-Remis-Endspiel auf die Uhr hauen ist eine Sache – allerdings gibt es da den Notausgang 10.2. In einem besseren oder auch nur schwierigen Endspiel zusehen, wie der Gegner seine Zeit auf Null ablaufen lässt, weil er keinen Plan findet, ist eine andere: Das kann nicht unsportlich sein – sonst wäre jede Partie mit einer Uhr „unsportlich“.
Er war ein fairer Verlierer, der mir gratuliert hat. Ich glaube, ich war kein sehr guter Gewinner – aber ich war auch am Ende, außerdem überrascht und habe unter der (nicht vorhandenen) Sauerstoffversorgung im Nebenraum extrem gelitten. Ich hoffe, wir können da irgendwas ändern.
Alles in allem hatte diese Partie wesentlich mehr Ähnlichkeit mit Texas Hold‘em als mit Schach.
3 | MSA Zugzwang 82 4 | DWZ | - | TSV Poing 1 | DWZ | 3½ - 4½ | ||
1 | 1 | Krklec, Boris | 1715 | - | 1 | Heinrich, Herbert | 1743 | 0 - 1 |
2 | 2 | Gstalter, Herbert, Dr. | 1675 | - | 2 | Festl, Franz | 1740 | 0 - 1 |
3 | 3 | Emmerig, Werner | 1659 | - | 3 | Gross, Wolfgang | 1634 | 0 - 1 |
4 | 4 | Dirscherl, Gerd | 1658 | - | 4 | Scholz, Manfred | 1720 | 1 - 0 |
5 | 5 | Ibisch, Robert | 1625 | - | 5 | Eisenacher, Bernd | 1770 | 0 - 1 |
6 | 9 | Lerch, Martin | 1866 | - | 6 | Wenski, Wolfgang | 1549 | 1 - 0 |
7 | 7 | Prokopczuk, Peter | 1591 | - | 7 | Ruhland, Erwin | 1501 | ½ - ½ |
8 | 8 | Kron, Hans-Peter | 1579 | - | 8 | Schalk, Helmut | 1361 | 1 - 0 |
Schnitt: | 1671 | - | Schnitt: | 1627 |
Fazit des Wettkampfs
Mannschaftspunkte: Null
Erotischer Nährwert: Null
Erfahrungszuwachs: Null auf beiden Seiten
Spaßfaktor: War vorhanden!
Und wer rauskriegt, was LL bzw. ToLL heißt, kriegt ein Bussi aufs Bauchi. Fragt sich nur von wem.
Martin Erik
P. S.: Weil‘s eh praktisch unlösbar ist: LL heißt Leas Lover – und ToLL demzufolge: Team of Leas Lover. Und Lea wiederum ist – richtig: Roberts reizende Freundin.